Während es an den staatlichen Schulen üblich ist, dass in der Grund- und Hauptschule die Lehrkraft etwa jedes Jahr oder alle zwei Jahre wechselt, so dass sie sich auf einen bestimmten Stoff und eine bestimmte Methode spezialisieren kann, ist die Idee der Waldorfpädagogik, dass sie sich auf eine Kindergruppe spezialisieren und mit ihr acht Jahre verbinden kann.
Acht Jahre Klassenlehrkraft
Auf diesem wichtigen Entwicklungsweg sollen die Kinder begleitet werden von einem Menschen, der sie von Anfang an kennt, kennenlernt und ihre Entwicklungsschritte mit ihnen gemeinsam geht.
Die Klassenlehrkraft unterrichtet ihre Klasse täglich von 8:00 bis 9:45 Uhr, also 105 Minuten, im sogenannten Hauptunterricht in den Fächern Schreiben und Lesen, später Deutsch, Rechnen, Geometrie, Formenzeichnen, später Mathematik, Geschichte, Erdkunde, Physik, Chemie, Malen, Singen und Flöten.
Drei bis vier Wochen beschäftigt sich der enge Klassenverband gemeinsam, im sogenannten Epochenunterricht, intensiv mit einem Fach. Dadurch entsteht ein intensives Erleben und Eintauchen und somit auch ein Verbinden mit dem Stoff durch tägliches, rhythmisches Üben und Wiederholen.
Durch die Länge des Hauptunterrichtes muss der Unterricht gut durchgegliedert sein durch:
- Wechsel von Spannung und Entspannung
- Arbeit mit dem Kopf und Arbeit mit den Gliedern
- Arbeit mit der gesamten Klasse und Einzelarbeit
- Bewegung und Ruhe
- Einatmen und Ausatmen
Dieser atmende, bewegende Unterricht soll die Lebenskräfte der Kinder stärken, während die rhythmischen Wiederholungen die Gewohnheiten festigen und zu Selbstverständlichkeiten werden.
In all ihrem Tun soll die Lehrkraft aktive Gestalterin der Erlebniswelt der Kinder und nach der Pubertät Wegbereiterin für das Erfassen einer Welt der Gedanken sein.
Sie hilft die Willenskräfte zu stärken, indem Widerstände überwunden werden.
Sie hilft die Empfindungsfähigkeit zu stärken, indem sie in vielfältiger Weise an wahre Erlebnisse heranführt.
Sie hilft das Denkvermögen zu schulen, indem sie reiche Empfindungsfähigkeit bietet.
Vor- und Nachteile einer Bezugsperson
Das ist eine ungemein schwierige Aufgabe, nicht nur wegen der vielen Fächer, die zu unterrichten sind, sondern vor allem wegen der Frage, ob die Lehrkraft allen Schüler*innen gerecht werden kann, ob es ihr gelingt, zu allen Schüler*innen ein wirklich pädagogisches Verhältnis aufzubauen.
Auch den Eltern kommen immer wieder Bedenken. Was geschieht, wenn die Lehrkraft zu einem oder einigen Schüler*innen nicht den rechten Kontakt findet? Was geschieht, wenn wir Eltern mit ihr nicht zurechtkommen? Acht Jahre Leid und Unglück? Kann die Lehrkraft alle Unterrichtsfächer alle wirklich inhaltlich und methodisch beherrschen?
Die Gefahren und Probleme des Klassenlehrer*innen-Systems sind an dieser Stelle nicht zu leugnen, andererseits darf man die großen Chancen und Vorteile nicht übersehen.
Die Klassenfachkraft kann während der acht Jahre die Entwicklung und spezifischen Leistungen eines Kindes, seine Gesundheit, seine Ausdrucksfähigkeit und vieles mehr verfolgen und eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern aufbauen. Sie kann dadurch Probleme wahrnehmen, die eine Lehrkraft, die nur ein Jahr mit einer Klasse verbunden ist, wenig wahrnehmen kann.