Waldorfpädagogik ist ein geeigneter Weg, um mangelnde Motivation oder Schulverweigerung bei Grundschulkindern abzubauen und ihnen wieder zu Freude am Lernen zu verhelfen. Auch Symptome psychosomatischer Erkrankungen können massiv reduziert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine empirische Studie, für die an 55 Regel-Waldorfschulen Eltern von Quereinsteiger*innen zu den Befindlichkeiten ihrer Kinder nach dem Wechsel in die Waldorfschule befragt wurden.
Insgesamt beteiligten sich 478 Elternhäuser an der Fragebogenaktion im Schuljahr 2004/05, einbezogen wurden die Klassen eins bis fünf. Gerade in der Grundschulzeit, die erste Erfahrungen mit den schulischen Lern- und Leistungsformen vermittle, trügen die Lehrkräfte eine besondere Verantwortung, betont die Autorin der Studie, Ulrike Luise Keller, in der Zusammenfassung der Ergebnisse. Die Pädagogin unterrichtete zunächst an staatlichen Real- und Grundschulen, bevor sie an eine Waldorfschule überwechselte. Ihre Forschungsarbeit entstand als Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Mit dem Ergebnis ihrer Forschung möchte sie einen Beitrag zur Diskussion zu Merkmalen der „guten Schule“ leisten. und bezieht auch Verbesserungsvorschläge für die Waldorfschule mit ein.
Im Blickpunkt der Untersuchung stehen die Erwartungen der Eltern und die Befindlichkeit der Grundschulkinder vor und nach dem Schulwechsel. Außerdem wird die Zusammensetzung der Quereinsteiger*innen genau dokumentiert. Hierbei ergibt sich die erste Überraschung der Studie: Über die Hälfte der wechselnden Schüler*innen verzeichnet befriedigende bis sehr gute Leistungen auf der staatlichen Schule und widerlegt damit das Vorurteil, dass vordergründig Leistungsschwäche der Kinder ein Grund für den Wechsel zur Waldorfschule sei.
Als Hauptgründe für den Wunsch, die Schule zu wechseln, nennen die Eltern die ganzheitliche Methode des Lernens an der Waldorfschule (59,0%), Leistungsdruck (58,2%), Überforderung ihres Kindes durch das Arbeitstempo der alten Schule und zu viele Hausaufgaben (53,1%). An nächster Stelle stehen Schulangst (37%), Unruhe und/oder Konzentrationsprobleme (33,9%). Der Eindruck der Eltern, dass eine falsche Schullaufbahnempfehlung gegeben worden oder zu erwarten sei, spielte in 12,8 % der Fälle eine Rolle. Bei Konzentrationsproblemen und Unruhe bilden die Jungen die Mehrheit, während insgesamt etwas mehr Mädchen unter den Quereinsteiger*innen zu finden sind.
Die Ursachen für die Unzufriedenheit der Eltern schlussfolgert die Studie aus ihren Erwartungen an die neue Schule: Die Mehrzahl der Eltern möchte, dass ihr Kind wieder Freude an der Schule und am Lernen hat und insgesamt wieder unbeschwert und froh ist (Angaben dazu S. 171/S. 172). Dies gilt vor allem für das Thema Schulangst. Betroffene Eltern berichten, wie ihre Kinder von den Lehrer*innen unter Druck gesetzt oder gedemütigt wurden. So heißt es unter anderem: „Unser Kind litt unter der Lehrerin, die pädagogisch und menschlich unfähig war, mit Kindern umzugehen, wurde depressiv und lernblockiert. Wir waren die vierten, die sich in diesem Schuljahr abmeldeten.“ Oder: „Unter dem sehr autoritären Unterrichtsstil des Klassenlehrers litt unser Sohn sehr. Statt den Unterrichtsstoff zu vermitteln, schrie und schimpfte er sehr viel mit den Kindern, weil sie etwas nicht verstanden.“ Ein Junge erhielt sogar Schläge von der Lehrerin (mehrfach auch bei anderen Kindern). Auch sei er vor den Klassenkamerad*innen bloßgestellt worden, schreiben die Eltern. Neben dem Fehlverhalten der Lehrer*innen berichten die Eltern auch von Gewalt- und Mobbingerfahrungen der Grundschüler*innen (Beispiele auf den S. 122-129).
Viele Kinder entwickelten infolge der Schulangst psychosomatische Störungen. Diese reichen von Kopfschmerzen über Magenkrämpfe und Erbrechen bis hin zu Bettnässen (S. 137). Insgesamt, so die Eltern, hätten die Kinder das Lernen verweigert, nicht mehr in die Schule gehen wollen oder ihre sozialen Kontakte und ihre Selbstsicherheit verloren.
Zum Zeitpunkt der Umfrage besuchte mehr als die Hälfte der Kinder die Waldorfschule länger als 13 Monate, 21 Prozent länger als zwei Jahre, so dass „eine Darstellung und Bewertung der Befindlichkeit der Kinder (…) aus reichlicher Erfahrung erfolgt und eine eventuelle Beurteilung aus erster Begeisterung ausgeschlossen werden kann“, schreibt die Autorin (S. 93).