Eine weitere praktische Übung

Das Vermessungspraktikum im technisch-wissenschaftlichen Bereich

Für viele Schüler*innen bildet das Feldmessen einen Höhepunkt in ihrer Waldorfschullaufbahn und das, obwohl es mit viel Arbeit verbunden ist und den Abschluss einer Mathematikepoche darstellt. Es ist das Praktikum, das in der zehnten Klasse absolviert wird.

Vier Wochen lang beschäftigen sich die Schüler*innen in der Mathematik im Epochenunterricht mit der Trigonometrie. Jeden Tag werden fast zwei Stunden lang zum Beispiel Aufgaben zum Sinus- und Kosinussatz, zur Geometrie von Dreiecken und zum Abschätzen von Verhältnissen gelöst. Den Abschluss dieses Lernabschnitts bildet dann letztendlich die Praxis, das Feldmessen.

Dafür fahren unsere beiden zehnten Klassen gemeinsam für eine Woche in ein Jugendübernachtungshaus, um dort die Umgebung zu vermessen und jeweils eine Karte vom Gelände anzufertigen.

Ablauf des Vermessungspraktikums

Zunächst wird das Gelände erkundet. Ein erster Gang hilft, sich im zu vermessenden Gelände zu orientieren. Die Schüler*innen prägen sich nach Möglichkeit markante Punkte sowie Wege und Flächen und deren Lage im Gelände ein. Nach der Geländebegehung zeichnet jeder aus dem Gedächtnis einen Lageplan der Umgebung.

Durch das Einschlagen von Holzpflöcken werden Festpunkte markiert und so ein Festpunktnetz erstellt. Dabei ist zu beachten, dass über den Punkten ein Stativ aufgestellt werden kann, die Punkte zu umlaufen sind und von einem Punkt immer der nächste zu sehen ist. Das Gelände kann durch die Punkte in aneinanderhängende Dreiecke zerlegt werden, die sogenannte Triangulation, oder durch ein oder mehrere Vielecke abgedeckt werden, was man Polygonzug nennt.

Nun erfolgt das Vermessen der Festpunkte. Horizontale Entfernungen werden mit Maßband oder für größere Genauigkeit mit aneinander gelegten Messlatten bestimmt. Für die Winkelmessung stehen Theodolite zur Verfügung, das sind auf Stativen ausgerichtete Fernrohre, die über einer Winkelskala schwenken, mit denen man etwa auf hundertstel Grad genau arbeiten kann. Bei der Triangulation muss nur eine Basislänge gemessen werden, alle anderen Längen lassen sich aus den gemessenen Winkeln errechnen. Im Polygonzug wird zu den Innenwinkeln des Vielecks auch jede Seitenlänge gemessen. Die rechnerische Auswertung ist dafür einfacher als bei der Triangulation.

Aus den Messwerten lassen sich schließlich die Koordinaten der Festpunkte berechnen, so dass sie in ein Koordinatensystem mit dem gewählten Maßstab eingetragen werden können. Vielfach werden bei der rechnerischen Auswertung Fehler entdeckt, so dass Längen oder Winkel nachgemessen werden müssen. Jede*r Schüler*in erstellt sich deshalb ein Raster aus den Festpunkten.

Die Woche, die an unserer Schule für das Vermessungspraktikum zur Verfügung steht, reicht in der Regel nicht aus, um eine vollständige Höhenmessung durchzuführen, die für Höhenangaben und Höhenlinien in der Karte nötig wäre. So beschränken wir uns meistens darauf, Höhen von einzelnen Punkten zu messen oder zumindest Höhendifferenzen zu bestimmen. Die Höhenmessung geschieht mit einem Nivelliergerät und einer Messlatte.

Ausgehend von den Festpunkten werden all die Dinge vermessen, die später auf der Karte erscheinen sollen, also Straßen, Wege, Gebäude, Bäche, Bäume, natürliche Geländegrenzen und so weiter. Die Detailvermessung wird als Orthogonalvermessung mit dem Winkelprisma oder als tachymetrische Vermessung mit einem Theodolit durchgeführt.

Mit den Daten der Detailvermessung werden Kartenstücke gezeichnet, die neben den Festpunkten alle Linien und Zeichen enthalten, die auch auf der fertigen Karte zu sehen sein sollen. Ein solches Kartenstück zeigt oft nur ein kurzes Wegstück von zehn Metern und die angrenzenden Dinge, manchmal aber auch ein ganzes Feld.

Jede Detailkarte lässt sich mit Hilfe der markierten Festpunkte in der richtigen Lage an das vorgefertigte Raster anlegen und so zu einer Gesamtkarte vervollständigen. Durch Abpausen kann man nun die Linien und Zeichen auf ein großes Blatt übertragen, ohne die Festpunkte einzuzeichnen. Zur fertigen Karte gehören ein Rand, eine Überschrift, eine Legende, Farbe und Symbole.

Ziele unseres Vermessungspraktikums

Neben dem Umgang mit professionellen Messgeräten und den Grundlagen der Vermessung lernen die Schüler*innen vieles mehr, was sie für ihr späteres Leben und ihren weiteren Werdegang nützen können:

Unsere Schüler*innen erleben die Anwendung des Schullehrstoffes, insbesondere der Mathematik. Den Sinn hinter dem Erlernten zu erkennen, führt oft zu mehr Verständnis des Lehrstoffes. Das exakte Messen erzieht die Jugendlichen zur Genauigkeit, fordert und fördert das Durchhaltevermögen bis zum sichtbaren Ergebnis. Die Vielfalt der benötigten Fähigkeiten liefert für jeden passende Aufgaben. Jeder und jede kann sich einbringen, wodurch das Selbstbewusstsein des Einzelnen gestärkt wird. Die Korrektur durch die Sache an sich, und nicht etwa durch die Lehrkraft, erzieht zu mehr Selbstständigkeit. Die Schüler*innen können die Notwendigkeit von Korrekturen und neuen Aufgaben selbst erkennen und deren Ausführung in die Hand nehmen. Die Eigenverantwortlichkeit der Schüler*innen wird dadurch gefördert, dass das Gelingen der gesamten Unternehmung vom Beitrag aller einzelnen Schüler*innen abhängt. Das Arbeiten in der Gruppe, die vorgegeben und nicht nach Sympathien ausgewählt wird, schult den Teamgeist und fördert so die soziale Entwicklung.

Sicher kann man noch viele weitere Ziele des Praktikums nennen. Aber es soll nicht verschwiegen werden, dass es einfach auch Spaß macht, gemeinsam viel im Freien zu arbeiten, mehr und mehr einen Gesamtzusammenhang zu verstehen und am Ende ein vorzeigbares Ergebnis und eine richtige Praxisanwendung der gelernten Mathematik zu erzielen.